Um ein erstes Treffen mit dem Ehrwürdigen Nyánaponika habe ich mich schon als Psychologiestudent im Jahre 1966 bemüht. Damals hatte mir Herr Professor Erich Fromm über ihn und seine Schriften berichtet — nach seinem Vortrag über das Thema Haben oder Sein an der Karls Universität in Prag. Es war auch mein damaliger Meditationslehrer Herr Dr. Dušan Kafka dabei, von dem ich die für mich sehr interessante Tatsache erfahren hatte, daß es im ursprünglichen Buddhismus der Theras keine Gurus gibt, weil der Buddha die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler als „edle Freundschaft“ (kalyána–mittatá) definiert hat. Und da hat Erich Fromm über seine Freundschaft zu dem europäischen Thera Nyánaponika ganz konkret erzählt und sie als eine Grundlage für die gemeinsame emanzipatorische Arbeit geschildert. Wie einleuchtend, so wegweisend! Bruder Dušan — wie wir ihn in der Unitarier Kirche nannten — hat für mich Nyánaponikas Anschrift in seinem Adreßbuch rausgesucht und ich habe gleich nach Sri Lanka geschrieben. Die Antwort hatte mich aber erst direkt vor meiner lange geplanten Abreise nach Indien im Frühjahr 1967 erreicht; so konnte ich für ein Treffen keine konkreten Schritte mehr unternehmen. Doch mein Entschluß war klar: Diesen europäischen Thera — den ersten über den ich so konkret gehört habe — will ich treffen! Sein Beispiel sollte mich in meiner Wahrheitssuche inspirieren! Vielleicht war dabei auch ein wenig Begeisterung fürs Exotische, doch im Grunde genommen war es eine weise überlegte Vorsatzbildung (sankappa) ganz im Sinne der Buddha–Lehre.
In Indien habe ich zunächst nicht an jemanden auf Sri Lanka gedacht, ich war voll mit meinem Forschungsprojekt über die Yoga–Methoden der Meditation und Heilung ausgelastet. Ich wurde Mönch der tantrischen Saraswati–Tradition und erhielt von meinem Lehrer den Namen Swami Nyánananda Saraswati. Ein halbes Jahr weilte ich dann ohne Ausgang im Kloster. Trotzdem kam es dort zu Begegnungen mit dem Ehrwürdigen Nyánaponika. Über eine, die in einer anderen Wirklichkeit stattfand, will ich etwas ausführlicher berichten, eine andere werde ich dann nur erwähnen. Die Beschreibung konkreter Ereignisse soll hier jedoch nur den Auftakt zur Erläuterung der Grundlagen für die fruchtbaren Begegnungen im Dhamma geben. Die Ereignisse sind etwas wirklich Geschehenes; in dieser geschehenen Wirklichkeit werden einem bestimmte Bedeutungen bewußt, man faßt sie in Worte oder Bilder und kann sie dann auch in Beziehung zu systematischem Wissen setzen. Das Ereignis dieser Begegnungen fasse ich nun im nachherein im Wissen des Dhamma auf. Und gerade weil es um persönliche Begegnungen geht, ist es mir nicht möglich anders zu schreiben, als ganz persönlich. Damit sind wir bei der Sache selbst angelangt.
Am liebsten unter den Yoga–Meditationen war mir damals die Pflege der inneren Ruhe, Antar–Mauna, über die ich deswegen ein kleines Büchlein auf Englisch in BSY–Press (Monghyr, Bihar 1967) veröffentlicht habe. In dieser Meditation gibt es eine Technik zur Erforschung des Geistraums (citt–ákása–vidya), die auch zur Suche des Orts benutzt wird, an dem der Führer weilt, der durch die nächste Etappe der Wahrheitssuche leitet. Ich hatte wiederholt eine Vision eines kahlköpfigen Mönchs in einer Robe, die länger und dunkler war als diejenige, die ich selber trug. Dieser Mönch stand vor der Veranda eines Häuschens tief im Urwald und winkte mir milde lächelnd zu.
Diese Vision von 1967 hat sich mir ganz klar wieder vergegenwärtigt und wurde mir erst im Jahre 1975 vollkommen verständlich, als ich mich das erste Mal dem Forest Hermitage in dem Udawattakele–Wald näherte und der Ehrwürdige Nyánaponika — den ich ja schon von unseren Schweizer Treffen kannte — vor der Veranda stehend mir zuwinkte. Diese mehr als sieben Jahren zuvor visionär vorweggenommene Begegnung brachte mir eine wichtige Lehre: Nicht alle Ereignisse können logisch geordnet und nicht alle wirklichen Zusammenhänge können durch rationales Denken geklärt werden. Damals war es für mich, den jung–dynamischen wissenschaftlichen Systematiker und nüchtern unbestechlichen Buddhismus–Forscher, eine wichtige Relativierung. Ich habe einsehen müssen, daß die empirische Wirklichkeit vor der theoretischen Rationalität Vorrang haben muß, wenn man der Wahrheit treu bleibt.
Die zweite Begegnung betraf den Namen Nyánaponika in Bodh–Gaya bei meinem ersten Lehrer der Achtsamkeitsmeditation, Sri Anagárika Munindra im November 1967. Als ich mein Training bei ihm abgeschlossen hatte, schenkte er mir ein Büchlein über Satipatthána–Vipassaná von seinem Lehrer Mahási Sayadaw und zeigte mir ganz unerwartet auch zwei Bücher von Nyánaponika Thera gezeigt: Abhidhamma Studies (BPS, Kandy 1965) und The Heart of Buddhist Meditation (Rider, London 1962). Dies war nicht mehr — aber auch nicht weniger — als eine ganz prosaische Wegweisung zu dem Führer auf der nächsten Etappe meiner Wahrheitssuche.
Als ich dann im Mai 1968 von Indien nach Europa mit dem Schiff zurückreiste, habe ich selbstverständlich auf Sri Lanka den Ehrwürdigen Nyánaponika besuchen wollen. Aber bereits in Colombo teilte mir Sri Anagárika Sugatánanda (Francis Story), daß der Ehrwürdige soeben in die Schweiz abgereist sei. Ich selber bin in der Schweiz erst im Herbst, nach der brutalen Beendung des Prager Frühlings und dem darauf folgenden Satyagraha–Widerstand angekommen, an dessen Organisierung ich mich an der Karls Universität aktiv beteiligte. In Bern war ich dann mit der Wiederaufnahme meines Psychologiestudiums und mit dem Schreiben meiner Dissertation so beschäftigt, daß ich erst 1970 erneut den Kontakt zum Ehrwürdigen Nyánaponika suchen konnte. Es folgte ein Briefaustausch zuerst mit Richard Abeyasekera, der als Sekretär der Buddhist Publication Society für Nyánaponika Thera die Agenda gehalten hatte. Der Ehrwürdige Nyánaponika schlug mir ein Treffen im folgenden Frühling in Locarno vor. Er erwähnte dabei, daß er kürzlich mit Erich Fromm und Ronald Laing über die Anwendungen buddhistischer Meditation in Psychotherapie diskutierte — und dies wolle er nun auch mit mir diskutieren.
Nur schwer kann ich beschreiben, mit welcher Freude ich mich auf dieses Treffen vorbereitet habe. Ich habe damals bereits als klinischer Psychologe an der Psychiatrischen Poliklinik der Universität Bern auf der Grundlage des Abhidhamma Psychotherapien durchgeführt und darüber die erste Vorlesung gehalten. In der Folge machte ich nun ein rückblickendes Reflektieren (paccavekkhaná) und berichtete es dem Ehrwürdigen Nyánaponika. Dies war die erste Niederschrift von Prinzipien der Satitherapie. Diese Anwendung von Prinzipien des Abhidhamma in Psychotherapie wurde in den darauf folgenden Jahren unter Nyánaponikas Aufsicht weiterentwickelt; in einer Kurzfassung veröffentlichte ich sie als Abhidhamma – eine uralte Grundlage transpersonaler Psychotherapie (in: Integrative Therapie, Zeitschrift für Verfahren Humanistischer Psychologie und Pädagogik, Nr. 3, 10. Jhg., 1984, S. 263 – 272). Schon damals, vor dem ersten Treffen mit Ehrwürdigen Nyánaponika war ich überzeugt, daß alle bis dahin gegangenen Umwege und oft als unangenehm empfundenen Aufschübe eigentlich als Beiträge zur Vorbereitung des zu guter letzt bevorstehenden „bedeutungsvoll integrativen Ereignisses“ (samaya) zu deuten sind.
An dieser Stelle muß ich die vier Lehrbegriffe erläutern, die ich als technische Termini (mit ihren Äquivalenten auf Páli in Klammern) benutzt habe. Sie stellen die Grundlagen für Begegnungen im Dhamma dar. Als erste Voraussetzung oder Grundlage wurde die edle Freundschaft (kalyána–mittatá) angeführt, zweite war die weise überlegte Vorsatzbildung (sankappa), als dritte kam das rückblickende Reflektieren (paccavekkhaná) hinzu. Wenn wir sie alle drei so gut verstehen, daß wir sie herbeiführen können, dann sind wir dafür ausgerüstet, ein „bedeutungsvoll integratives Ereignis“ (samaya) zustande kommen zu lassen. Was alles Samaya in der Lehre des Buddha impliziert, ist auf Deutsch in dem schon zitierten Artikel über Abhidhamma – eine uralte Grundlage transpersonaler Psychotherapie ausführlich erklärt und ebenda im Diagramm der Struktur des Erlebens veranschaulicht. Hier dazu nur paar Worte, wie man sie herbeiführen kann, wie man für sie durch Achtsamkeitsschulung in Meditation, Psychotherapie oder einfach im Alltagsleben Bedingungen schafft. Es gibt die ganz einfachen Übungen der Wirklichkeitsverankerung, die darauf bauen, was vor einem halben Jahrhundert Nyánaponika Thera in seinem Buch Geistestraining durch Achtsamkeit beschrieben hat. Es sind die vier Verankerungen, die bis in die kleinsten technischen Einzelheiten als grundlegende Vorgehensweisen der Satitherapie ausgearbeitet worden sind:
Die Verankerung in der körperlich erlebten Wirklichkeit hier und jetzt — sie wird als die nicht–gezielte Körperachtsamkeit (káyagatá–sati) und die gezielt–gründliche Aufmerksamkeit (yoniso manasikára) geübt.
Die Verankerung in den tragenden zwischenmenschlichen Beziehungen, unter denen die edle Freundschaft (kalyána–mittatá) die vornehmste Stellung hat —man erinnere sich an sie als Sicherheit und Stütze in der jeweiligen Situation hier und jetzt.
Die Verankerung in der gemeinsamen Weltanschauung und in den sie tragenden sozialen und kulturellen Institutionen — ein Schüler des Buddha vergegenwärtigt sie sich bei welcher Gelegenheit auch immer als die Dreifache Zuflucht (ti–saranam).
Die Verankerung in der Wissensklarheit über das jeweilige Ziel (sa–atthaka–sati–sampajanna) — sie entsteht im methodischen Reflektieren (paccavekkhaná) der bisher erfolgten Erlebnisse und ist somit die Basis für die weise überlegte Vorsatzbildung (sankappa).
Soweit ich es erinnern kann, waren alle meine Begegnungen mit dem Ehrwürdigen Nyánaponika im hohen Maße durch alle vier Wirklichkeitsverankerungen ausgezeichnet. Mehr glaube ich hier nicht sagen zu müssen, bevor ich nun unsere erste Begegnung einfach schildere.
Es war auf dem Berg der Wahrheit, auf italienisch Monte Veritá genannt, im Kanton Tessin in der Nähe von Locarno. Ich kam zu dem Tisch im Gartenrestaurant, an dem der Ehrwürdige Nyánaponika seinen Nachmittagstee trank. Auf orientalische Weise — mit Händen in der Gebetshaltung — verbeugte ich mich vor ihm, woraufhin er aufstand, einen Stuhl neben seinen so stellte, daß ich mich neben ihn setzen konnte. Ich setzte mich nieder und eine Weile haben wir uns einander zulächelnd nur ruhig angeschaut. Nach einer Weile fragte er, „Wie war die Anreise über die Alpen? Brauchte es nicht zu lange…?“ Den Gedanken, der mich unterwegs begleitet hatte, beschloß ich nun auszusprechen „Fünf Jahre brauchte es, bis ich Sie hier nun treffe.“ Leise hat er dazu gelacht. Er sprach ein weiches Deutsch, das mich an Frau Louise, meine Amme erinnerte. Ich fragte, wie ich ihn anreden solle, da mir das briefliche „Verehrter“ ungeschickt vorkäme und eine orientalische Anrede wolle ich hier nicht gebrauchen. Er antwortete, daß er einfach Nyánaponika heiße. Es dauerte dann einige Jahre, bis sich die páli Anrede „Bhante“ konsolidierte, die einfach „Herr“ heißt, manchmal habe ich ihn auch mit „Ehrwürdiger“ angeredet. Als wir uns verabschiedeten, kam spontan wieder das orientalische Verbeugen mit vereinten Händen. Hiermit hatten wir den äußeren Rahmen auch für unsere folgenden Treffen gesetzt.
Es hat sich aus dem Gespräch ergeben, daß uns beiden am Wichtigsten ist, Ruhe zu haben und die persönliche Energie und Zeit dieses Lebens sinnvoll einzusetzen. Die Kultur Mitteleuropas als Boden für den Dhamma war ein Themenkreis, in dem wir uns den Wiener Karl Eugen Neumann und den Prager Moritz Winternitz vergegenwärtigten. Wir sprachen über das Fortleben der vorchristlichen Gottheiten und Ideale im Herzen Europas. Ich war überrascht, wenn der Ehrwürdige hierzu einige Verse von Jaroslav Vrchlický zitierte, und ganz begeistert habe ich dann erfahren, daß er die Ode auf die Freiheit von Ján Kolár kannte, die ich ihm auf Tschechisch in Hexametern rezitierte „Die eigene Freiheit schätzend, achtet man die Freiheit der anderen…“ — ein Lehrer auf dem Gymnasium, das er in Schlesien besuchte, hatte sie als Beispiel urtümlicher Hochachtung für die individuelle Menschenwürde in der tschechischen Poesie eingehend interpretiert. Und vom Inhalt dieser Verse sind wir zur Beziehung zwischen Lehrer und Schüler gekommen, zu der er mir aus dem Samyutta–Nikáya rezitierte: „Sich selber schützend, schützt man die anderen, die anderen schützend, schützt man sich selbst.“
Zum Hauptthema wurde schließlich die edle Freundschaft, die kein Autoritätsgefälle fordert und schon in sich selbst das emanzipatorische Moment des Dhamma verwirklicht. Ich fragte ihn, woran er mit seinen Schülern arbeitet, weil ich mich gerne in der deutschsprachigen Welt mit Personen austauschen möchte, die sich zu ihm bekennen und Satipatthána–Vipassaná praktizieren. Ehrwürdiger Nyánaponika sagte mir, daß er keine Schüler hat und keine andere Gruppe als die von mir in Bern gegründete kennt, die sich praktisch der Achtsamkeitsmeditation widmen würde. Ich konnte es kaum glauben, aber genau so war die Situation auch noch acht Jahre später, als ich Nyánaponikas Meditationslehrer, den Ehrwürdigen Mahási Sayadaw nach Europa einlud. Wir waren uns darüber einig, daß beide Aspekte des Dhamma im Ausgleich vermittelt werden sollten: das Studium der Texte und die Praxis der Meditation. Ein Austausch mit toleranten Menschen anderer Ausrichtungen sei in dieser Phase der Verbreitung vom Dhamma im Westen auch wichtig, meinte er; so trifft er im Tessin eben verschiedene Freunde, darunter Erich Fromm, Láma Anagárika Govinda und andere — und ich sei herzlich auch dazu eingeladen.
Ehrwürdiger Nyánaponika kam dann jedes Jahr in die Schweiz auf Einladung von seinem Tessiner Freund Dr. Kreutzberger bei dem er in Locarno, oder dann seit dem Jahre 1973 auch bei mir in Bern jeweils einige Wochen weilte. Gegen Ende der siebziger Jahre hat dann der Schwager vom Konstanzer Verleger Nyánaponikas Schriften, Kurt Onken in der Ostschweiz das „Haus der Besinnung“ gegründet, wo wir uns zum Anhören von Dhamma–Vorträgen des Ehrwürdigen versammelt haben. 1979 hat Kurt Onken auf Empfehlung von Ehrwürdigen Nyánaponika zu einem Vortrag auch den Ehrwürdigen Mahási Sayadaw dorthin eingeladen und in den darauf folgenden Jahren intensive Satipatthána–Vipassaná Meditationsretreats von mir durchführen lassen. Die Ostschweizer Gesellschaft um Kurt Onkens Haus der Besinnung und meine Berner Dhamma Gruppe waren die einzige zwei buddhistische Institutionen in Europa, die den Ehrwürdigen Nyánaponika als Lehrer eingeladen haben. Sein Lehren haben ernsthaft interessierte Personen vielmehr während der Besuche bei ihm auf Sri Lanka genossen.
Gleich nach dem Erlangen der Doktorwürde habe ich am Anfang des Jahrs 1975 meine Stelle an der Psychiatrischen Poliklinik der Universität Bern gekündigt und bin zum Ehrwürdigen Nyánaponika nach Kandy gefahren. Unter seinem Beistand wollte ich mir zuerst Klarheit darüber verschaffen, wie ich entweder als Mönch oder als Laie einen längeren intensiven Meditationsretreat bei ihm machen und wie ich die Bedingungen für mein weiteres Leben gestalten könne. In den ersten Wochen ging es zunächst darum, sich mit dem Land von Kandy (wörtlich: Bergen) und insbesondere mit den Leuten vertraut zu machen: also sich im Hause eines Dáyaka vom Ehrwürdigen Nyánaponika als zahlender Gast heimisch zu machen und von dort aus in kürzeren Ausflügen die Gegend und vor allem die historischen Stätten zu erforschen. Dabei war unschätzbar hilfreich der beste Freund des Ehrwürdigen, der bereits vorher erwähnte ehrenamtliche Sekretär von Buddhist Publication Society, Richard Abeyasekera. Durch ihn lernte ich viele interessante Menschen kennen — zwar nicht nur in Sri Lanka, er hat mich auch bei seinen Freunden in Burma und Thailand eingeführt, die mich dann zu einer Vortragsreise eingeladen haben. Durch die Buddhist Publication Society öffneten sich so auch für mich neue Welten.
Kaum könnte man sich die Lebenssituation vom Ehrwürdigen Nyánaponika vorstellen, wenn man nicht verstehen würde, was ihm die Buddhist Publication Society bedeutete. Hier will ich ein wenig von einer anderen Seite erzählen, als ich es in der offiziellen Geschichte dieser Institution getan habe, die in Zur Erkenntnis Geneigt – Festschrift zum 85. Geburtstag des Ehrwürdigen Nyánaponika Maháthera (Verlag Christiani, Konstanz 1986) veröffentlicht wurde. Aus seinem Erzählen konnte ich entnehmen, daß sich Ende der fünfziger Jahre für den Ehrwürdigen Nyánaponika einige tiefgehende Änderungen in der Lebenseinstellung ergeben haben, die mit jenen aus der Zeit seines Eintritts in den Mönchsorden Ende der dreißiger Jahre vergleichbar sind. Es endeten die abenteuerlich anmutenden Entdeckungen in verschiedenen Ländern Asien, wie auch in den inneren Meditationslandschaften. Ein Gipfelereignis war zweifellos die Teilnahme von Nyánaponika und seinem Lehrer Nyánatiloka an dem 6. Konzil des Sangha in Rangun — seit den zweieinhalb tausend Jahren des Bestehens des Sangha waren sie die ersten Mönche europäischen Ursprungs, die als Vollmitglieder in diese höchste buddhistische Körperschaft eingeladen waren. Hiermit kontrastierte die Entwicklung in der Deutschen Buddhistischen Union und der German Dhammaduta Society, für die sich bis dahin der Ehrwürdige Nyánaponika sehr eingesetzt hat. Er versuchte die Wege nach Europa auch für andere Exponenten der Lehre zu ebnen — so zum Beispiel für den Ehrwürdigen Piyadassi Thera schrieb er Briefe, auf welche jedoch Antworten kamen, wie die folgende:
„Verehrter Thera! … Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie hier Vorträge über Buddhismus halten möchten, wie ich aber annehme, könnten Sie dies nur in englischer Sprache tun. Nur ganz wenige unserer Mitglieder verstehen Englisch und somit wäre Ihren Bemühungen kaum ein Erfolg beschieden. Mit Zuhörern aus weiteren Kreisen könnten wir kaum rechnen. … Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihren Vorträgen.“ (gez. Max Ladner, Zürich, 12. 6. 1958).
Erst zwanzig Jahre später feierten in der Schweiz die englischen Dhamma–Vorträge von eben diesem Ehrwürdigen Thera Piyadassi (die ich an Universitäten wie auch für breite Öffentlichkeit jeweils simultan übersetzte) und ebenfalls die deutschen Vorträge von Ehrwürdigen Nyánaponika einen großen Erfolg. Hier geht es jetzt aber nicht um Hören von Vorträgen, sondern um Erfahren des Dhamma in Meditation. Nicht der Literat Nyánaponika, sondern der Meditationslehrer Nyánaponika soll hier „gefeatured“ oder vorrangig gezeigt werden. Die von seinem 1957 gestorbenen Lehrer übernommene Aufgabe, die buddhistischen Texte auf eine nicht entstellte, zuverlässige Weise weiterzugeben, wurde nun durch die 1958 gegründete Buddhist Publication Society mehr oder weniger selbständig weitergeführt. Den Anspruch für Dhammaduta in Europa zu arbeiten, hatte er nun abgelegt und konnte es durch seine um so größere Bereitschaft für persönliche Begegnungen wettmachen. Vielmehr wurde nun die Buddhist Publication Society zu einem Vorzimmer von Forest Hermitage, zu einer Anlaufstelle für Meditierende aus dem In– und Ausland, die den Wert von Nyánaponikas Vermittlung praktischer Meditationsanweisungen in seinen Büchern erkannt hatten.
Als ich dem Ehrwürdigen Nyánaponika mein Anliegen unterbreitet habe, unter seiner Obhut einen längeren intensiven Meditationsretreat zu machen, sagte er, daß er ein solches noch nie betreut habe, doch wir würden es versuchen. Vorgreifend will ich hier schon sagen, daß ich in der Folge dieses ersten, sehr erfolgreichen Meditationsretreats es dann alle zwei Jahre wiederholt habe. Obwohl der Ehrwürdige Nyánaponika zu jener Zeit in seinem Forest Hermitage in Udawattakele alleine wohnte, beschlossen wir, daß ich nicht bei ihm, sondern in einer alleinstehenden Meditationshütte, dem sogenanntem Kuti, in dem nahegelegenen Waldkloster Tapovane meditieren solle. Dort würde ich den richtigen traditionellen Rahmen genießen können, samt der täglichen Betreuung insbesondere durch das Spendenmahl. Bis wir soweit waren und bis Richard Abeyasekera das Kuti für mich organisiert hatte, besuchte ich zwei Monate lang etwa jeden zweiten Tag den Ehrwürdigen Nyánaponika in Forest Hermitage. Beim Hingehen durch den schönen Udawattakele Urwald habe ich jeweils ein Thema vorbereitet und unterwegs zurück dann die Begegnung reflektiert.
Unsere Gespräche waren verschiedenen Aspekten der Meditation gewidmet. Zu jener Zeit habe ich nicht mehr als vier Stunden pro Tag meditiert; morgens zwei ausgedehnte Sitzungen mit einer methodischen Gehmeditation (cankamana) zwischendrin, abends dann nur meditative Reflexion des Tages (paccavekkhaná) und eine kurze Gütemeditation (mettá). Im Gespräch mit dem Ehrwürdigen Nyánaponika haben wir dann die Erfahrungen ausgewertet und meditatives Experimentieren für die nächsten Sitzungen vorbereitet. Ich habe auch versucht, ihn über seine Erfahrung in Burma in den fünfziger Jahren und in der Zeit des Meditierens am Ufer von Mahaveli in den dreißiger Jahren zu befragen (hierüber ausführlicher in der schon erwähnten Schrift Zur Erkenntnis Geneigt – Festschrift zum 85. Geburtstag des Ehrwürdigen Nyánaponika Maháthera, Verlag Christiani, Konstanz 1986: Über das Mönchsleben des Ehrwürdigen Nyánaponika – ein Interview von Mirko Frýba, Seiten 45 – 70). Er meinte jedoch, daß es jetzt wichtiger sei, meine eigene Erfahrungen im Lichte der Páli Texte zu sichten, damit könne er mir am besten helfen. Diese Begegnungen waren die optimale Vorbereitung für meinen bevorstehenden Retreat.
Das Ziel meiner Meditation war klar: ohne Umwege die vollkommene Erleuchtung zu erlangen. Zur Erwägung stand nur, welche Methode, welches Vorgehen zu wählen sei. Während der letzten Jahre experimentierte ich auch mit Techniken des schlichten Klarblicks (sukkha–vipassaná) von der Beobachtung des Hebens und Senkens der Bauchdecke ausgehend, wie sie von Ehrwürdigen Mahási Sayadaw didaktisch erarbeitet wurde. Ich habe dieses Vorgehen in mehreren hunderten Sitzungen an mir selbst getestet und es dann mit guten Erfolg einigen meiner Schüler beigebracht. Ehrwürdiger Nyánaponika empfahl mir jedoch mit jenem Vorgehen fortzufahren, das bei mir selber schon fruchtbar war. So haben wir miteinander nochmals — nach acht Jahren — die Verwirklichung des ersten Pfads und dessen Frucht (sotápatti–magga–phala) reflektiert, wie sie bei mir unter dem Beistand von Sri Anagárika Munindra 1967 zustande gekommen war. Damals als hinduistischer Swami bin ich jedoch von der Versenkung genannt Avitarka–Samádhi ausgegangen, in der ich durch Mantra So–Ham die Atmung begleitete, bis ich den Zustand Param–Ham–So erreichte, der dem zweiten Jhána nach der Nomenklatur von Sutta–Pitaka entspricht. Es war also der Weg des nach Sammlung erfolgten Klarblicks (samatha–pubbangamam–vipassaná), den ich damals gegangen bin.
Für diesmal beschlossen wir, daß ich wenig von Jhána Gebrauch machen würde, die Atmungsachtsamkeit (ánápána–sati) als Meditationsobjekt (bhávaná–árammana) benützte und Klarblick im dessen eigenen Bereich ausübe (samádhismim–gocara–kusalo) — also genau wie es Buddha in den fünf Sutten Árammanamulaka–Gocara–Suttádi–Pancakam des Jhána–Samyutta instruierte. Wir haben uns also für ein Vorgehen von Sammlung und Klarblick in Koppelung (samatha–vipassaná–yuganaddha) entschlossen, dessen sechzehn Schritte in Visuddhi–Magga oder in Ánápána–Samyutta (deutsche Übersetung, letztes Buch des Samyutta–Nikáya, Seite 362) beschrieben sind.
Eines schönen Tages hat mich der Ehrwürdige Nyánaponika in das Waldkloster Sri Dálada Máligava Tapovanaya begleitet, dessen Abt dem Ehrwürdigen Candasiri Thera vorgestellt und mit mir das Kuti hinter einem kleinen Hügel angesehen. Morgen käme er mich besuchen, sagte er, bevor er wegging. Ich habe meine Toilettensachen ausgepackt, Thermosflasche mit Tee, Bettücher, Kopfkissenbezug, Moskitonetz und mein Meditationsitzkissen zurechtgestellt. Dann bin ich um das Kloster herumgegangen, ohne jemanden zu treffen, zurück zu meinem Kuti, neben dem ich den mit feinem Sand gefüllten und glatt gefegten Gehmeditationsgang untersuchte. Obwohl die Sonne noch ziemlich hoch stand, war es hier im Wald auch ohne Wind angenehm frisch. Herum schauend intensivierte sich das Gefühl der Verabschiedung von der Welt.
Im Kuti habe ich auf dem Sitzkissen die angemessene Stellung eingenommen und halblaut sprechend den Sankappa, also meine Entscheidung, mit voller Wucht formuliert. Danach bin ich gesessen, gegangen, gesessen, gegangen, gesessen… — Tag um Tag gleich, nur mit kurzen achtsamen Unterbrechungen, um den kleinen und größeren Bedürfnissen des Körpers gerecht zu werden. Wie sich meine Meditation von Stunde zu Stunde entfaltete… — darüber könnte ich nun viele Seiten schreiben. Kurz gesagt, hatte ich es diesmal 1975 nicht so leicht, wie damals 1967 bei Sri Anagárika Munindra in Bodh–Gayá. Damit will ich nicht sagen, daß sich der Ehrwürdige Nyánaponika um mich wenig gekümmert hätte. Jeden zweiten Tag besuchte er mich, wobei wir manchmal auch nur zwei, drei Minuten gesprochen haben — was durchaus genügte. Einige Tage waren voll ekstatischer Freude, einige sehr schmerzvoll und mit Furcht gefüllt. Am neunten Tag in einer lang ausgedehnten und endlich wieder schmerzfreien Sitzung wiederholte sich vor dem inneren Auge der ganze Verlauf des Lebens seit der letzten Geburt. Beim Gehen dann und zu Anfang der nächsten Sitzung war nur noch die Besänftigung des Geschehens an den sechs Sinnengrundlagen zu merken, dann Öffnung. Und nur noch Ruhe.
Der Ehrwürdige Nyánaponika meinte, daß ich mir viel Zeit schenken sollte um diese vorzüglichste Frucht des edlen Strebens zu genießen. Also bin ich noch einige Zeit in Tapovane geblieben. Mein Ehrwürdiger Lehrer kam nicht mehr zu mir, sondern ich bin zu ihm über den Udawattakele Berg gegangen; täglich neu war der vertraute Weg.
Unsere Gespräche bezogen sich dann auf die geistigen Prozesse (citta–víthi) und die in ihnen wirkenden Faktoren (cetasika), welche immer noch frisch in meiner Erfahrung als Bewußtseinsgegenstände vorhanden waren. Sie sind jetzt beim Schreiben darüber nur noch erinnerte Erlebnisse von damals, die abgerufen werden können und in den Erklärungen für Personen, die sie nicht erlebt haben, durch ausgewählte verbale Konstruktionen approximiert werden. Wir haben meine spontane Beschreibungen damit verglichen, was im Páli–Kanon über Erlebnisse von Magga–Phala geschrieben ist, und klar gesehen, daß ich den Weg gegangen bin, der als Samatha–Vipassaná–Yuganaddha bezeichnet wird. Wir untersuchten nochmals dessen sechzehn Schritte in Visuddhi–Magga und haben festgestellt, daß ich empirisch die Aussagen darüber bekräftige, was vor fünfzehnhundert Jahren die Mönche auf Sri Lanka über ihren Meditationsfortschritt geschrieben haben — ohne ihre Formulierungen wiederzugeben oder die Worte kanonischer Schriften zu benutzen. Dies war offensichtlich das wertvollste Ergebnis, nebst der Pfadverwirklichung selbst und der Konsolidierung vom Eintritt in Fruchterleben (phala), das wir eingehend miteinander auswerteten. Es war da auch noch eine stille Begeisterung darüber, die, obwohl sehr fein, doch so zu deuten war, daß sie nicht zu der höchsten und letzten Erreichung gehört.
Nyánaponikas Begleitung auf dem Pfad war ein integrierter Teil des Vorgehens. Ohne seinen Beistand wäre ich wohl nicht so sicher und so geschwind vorangekommen und auch die nachträgliche intellektuelle Verarbeitung innerhalb des Wissenssystems von Dhamma wäre kaum so weitreichend. Dank dessen, daß ich meinem Ehrwürdigen Lehrer alle Fragen darüber, wo ich mich jeweils auf dem Pfade befände, delegieren konnte, habe ich mich völlig dem Erfahren und dessen nur passiven Wahr–nehmen hingeben können. Ich setzte volles Vertrauen in ihn, daß er mich korrigierte, falls ich mich irgendwo verränne. Dies ist ein Punkt, der mir wichtig erscheint — noch mehr jetzt, ein viertel Jahrhundert später und nach allen Erfahrungen meines eigenen Begleitens von mehr als tausend Meditierenden, denen ich jeweils einzeln zugehört habe — ein Thema der gesonderten Behandlung würdig, dem ich mich abschließend zumindest noch kurz widmen will. Es ist eine wichtige Bewertungseinheit der eingangs erörterten edlen Freundschaft (kalyána–mittatá), die zu der tragenden zwischenmenschlichen Beziehung hinzukommt. Sie stellt auch einen Zusammenhang zwischen der Verankerung in der gemeinsamen Zuflucht zu Dhamma und der Verankerung in der körperlich erlebten Wirklichkeit. Es ist die In–Beziehung–Setzung von den Hinweisen des Lehrers und der eignen inneren Erfahrung (parato ca ghoso saccánusandhi ajjhatan ca yoniso manasikáro).
Gibt es nämlich keinen guten Beistand des Lehrers, kommt es leicht zu Mißdeutungen von fortgeschrittenen Meditationserfahrungen, die ich hier kurz anführen werde. Ich will mich nur mit dem konkreten Erleben befassen und alle rein verbalen Konstruktionen der modernen buddhistischen Schriftsteller und Schriftstellerinnen beiseite lassen, die häufig nur durch eigene Spekulationen gewürzte Zusammenfassungen alter Texte verkaufen. Die Mißdeutungen von echten Meditationserfahrungen, mit denen mich sowohl buddhistische Mönche wie auch Laien aufsuchen, teile ich in drei Gruppen ein: erstens sind es begrifflich philosophische Produktionen, die sich manchmal einer guten meditativen Beruhigung des Geistes aufpropfen; zweitens sind es Visionen in außergewöhnlichen Stimmungslagen, oft durch Auto– oder Heterosuggestion herbeigeführt; drittens sind es Imitationen meditativ veränderter Funktionsweisen des Geistes, in welche die Meditierenden durch Manipulationen des Meditationsinstruktors hineinmanövriert werden. Unberücksichtigt lasse ich hier also die rein verbalen Schwärmereien von Leuten, die glauben, zum Beispiel alle acht Versenkungen des Jhána in einem dreimonatigen Schnellkurs erreichen zu können, oder in ihren wilden Phantasien — obwohl sonst durchaus noch bewußt eigener Gier, Streitsucht und Durchsetzungsbedürftigkeit verhaftet — sich dennoch als vollkommen erleuchtete Arahants wähnen.
Mit dem Ehrwürdigen Nyánaponika waren wir darüber einig, daß es wichtig ist, klar und nüchtern operational über den Fortschritt auf dem Pfad zu sprechen. Wenn dies von berufener Seite unterlassen würde, wirkte es auf ernsthaft strebende Meditierende entmutigend, weil es ihre Zweifel, die mit den ersten Stufen des Fortschritts notwendigerweise einher gehen, zu sehr wachsen ließe. Ein Fehlen von technisch nüchternen Informationen über Fortschritte in der Meditation öffne auch den Raum für unverantwortliche Großtuerei und öde Spekulation. Am kompetentesten und für heute Meditierenden klar verständlich hat der Ehrwürdige Mahási Sayadaw den Fortschritt auf dem Pfad in dem kleinen Buch Practical Insight Meditation, Basic and Progressive Stages (BPS, Kandy 1971) beschrieben. 1975 habe ich dem Ehrwürdigen Nyánaponika gegenüber die Absicht geäußert, in Anlehnung auf das größere Werk von Mahási Sayadaw Progress of Insight (BPS, Kandy 1973) etwas ausführlicher die Phänomenologie der einzelnen Stadien der Einsicht zu beschreiben. Er hat mir davon abgeraten — mit der Begründung, daß es einige verleiten würde, sich selber die Erlebnisinhalte zu suggerieren oder die Erlebnisart nachzubilden. Er hielt es aber für durchaus für wünschenswert gehalten hat, war ein Manual für Meditationslehrer zu schreiben, in welchem ich auf einige häufiger vorkommende Mißdeutungen der Meditationserfahrung hinweisen sollte. Darüber hinaus könnte ich gerade als Psychotherapeut auf die möglichen Schädigungen der Meditierenden wegen unsachgemäßer Führung durch (nicht nur buddhistische) Meditationslehrer aufmerksam machen.
Es dauerte weitere zwanzig Jahre, bis ich dem Wunsch des Ehrwürdigen Nyánaponika gemäß ein solches Manual auf Tschechisch verfaßt und zum Teil ins Englische übersetzt habe. Aus diesem ABM–Manual (ABM = Apodiktik Buddhistischer Meditation) gebe ich hier nur einige der zentralen Ideen wieder. Ich betrachte dies als mein Geburtstagsgeschenk für den Ehrwürdigen Nyánaponika auf Deutsch.
Der Ehrwürdige Nyánaponika hat immer wieder betont, daß die Meditationspraxis sich in das Alltagsleben harmonisch einfügen muß, wenn es nicht zu Frustrationen führen soll, die nur schwer zu überwinden sind — und man solle sie nicht einfach „wegmeditieren“. Dies ist das Thema des ersten Kapitels: Alltagsleben als Kontext der Meditation. Es wird darin gezeigt, welche Funktionen die sogenannten Einzelposten des Tageszeitplans in Bezug auf die fortgeschrittene Meditation und eine glückbringende Lebensmeisterung haben. Das zweite Kapitel heißt Meditation ist nicht Psychotherapie und zeigt die unterschiedliche Erwartungen eines Patienten und einer gesunden Person, die sich in der Meditation üben will; der Unsinn von Behauptungen, daß Meditation therapeutisch wirke oder sogar, daß Buddhismus eine Psychotherapie sei, wird offengelegt; auch über „buddhistische Psychotherapie“ zu sprechen, hieße die gesamte europäische Psychotherapie, die sich auf die Lehren von Sigmund Freud gründet, als eine jüdische Psychotherapie zu brandmarken. Erst das dritte Kapitel über die Grundlagen der fortgeschrittenen Meditation widmet sich den Themen, an die Ehrwürdiger Nyánaponika dachte, als er mich aufforderte, das Manual für die Meditationslehrer zu schreiben. Die Typen der Meditationen und der Meditierenden, die nach verschiedenen Strategien des Lehrens verlangen — wie auch die Bedingungen für ein fruchtbares Entfalten der Meditation durch die gesetzmäßige Stadien — dies sind die Themen der Unterkapitel, die dann auch noch in den folgenden vier Kapiteln mit allen ihren Folgerungen ausgeführt werden.
Die Quintessenz der Ausführungen ist in dem Paradigma (mátika) des Yuganaddha–Sutta der Lehrredensammlung Anguttara–Nikáya enthalten: es gibt vier Wege, auf denen sich die fortgeschrittene Meditation entfaltet, dessen Schritte nicht beliebig austauschbar sind. Auf jedem dieser Wege muß man jeden Meditierenden der Wirklichkeit seiner Erfahrung entsprechend anders führen. Und dies ist der Kern des Wissens eines jeden kompetenten Meditationslehrers.
Die am besten ausgearbeitete Didaktik des Meditationslehrens gibt es für den Weg des reinen Klarblicks (sukkha–vipassaná) in der burmesischen Tradition — wie festgehalten in dem bereits angeführten Werk des Ehrwürdigen Mahási Sayadaw Practical Insight Meditation, Basic and Progressive Stages (BPS, Kandy 1971). Für den zu Buddhas Zeiten wohl am meisten verbreiteten Weg des nach Sammlung erfolgenden Klarblicks (samatha–pubbangamam–vipassaná), den auch ich zum erstenmal gegangen bin, werden heutzutage fälschlicherweise am häufigsten verschiedene Visionen und Imaginationen gehalten. Dieser Weg setzt eine strikte Disziplin voraus, mit der ein Pendeln zwischen einerseits den acht Befreiungen (vimokkha – siehe Anguttara–NikáyaVIII, 66) und anderseits den fünf Gruppen von Erscheinungen (pancakkhandha) geübt wird. Der Weg von Sammlung und Klarblick in Koppelung (samatha–vipassaná–yuganaddha) ist sehr ausführlich im achten Kapitel des Visuddhi–Magga beschrieben. Am wenigsten bekannt ist der Weg des „Analysierens von den sich der Sammlung wiedersetzenden Wirklichkeiten“ (dhamma–uddhacca–viggahíta), dessen einer Aspekt in Mirko Frýba: Sunnat á – Experience of Void in Buddhist Mind Training, Sri Lanka Journal of Buddhist Studies, Vol.II, 1988, page 1 – 19) ausführlich instruiert und als der wiederholte Sieg der Wirklichkeiten (dhammá) über die auf sie hinweisenden Zeiger (akkheyyá) durchgehend in dem Buch Mirko Frýba: Anleitung zum Glücklichsein – Die Psychologie des Abhidhamma (Bauer, Freiburg 1987) stufenweise erklärt wird. Die didaktischen Prinzipien von all diesen vier Wegen des Klarblicks — wie wir sie mit dem Ehrwürdigen Nyánaponika diskutierten und von dem Ehrwürdigen Mahási Sayadaw 1979 bestätigt bekamen — dienen demselben Ziel, das durch die aufeinander folgenden Einsichten (vipassaná–nána) verwirklicht wird.
Forest Hermitage
Kandy, Sri Lanka
Navam Poya 2543
Februar 2000
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